Offener Brief Bundestagsabgeordneten der Bergstraße Dr. Michael Meister (CDU)


Sehr geehrter Dr. Michael Meister,

 

diesen Freitag, den 03.07.2020, soll im Bundestag das sogenannte “Kohleausstiegsgesetz” beschlossen werden. Passender wäre wohl der Name “Koleverlängerungsgesetz”, denn dieses Gesetz wird dafür sorgen, dass wir den Kohleausstieg bis 2038 hinauszögern. Damit verweigern Sie sich der Stimme der Wissenschaft: Alle 26.800 Wissenschaftler*innen von Scientists For Future fordern einen früheren Kohleausstieg. Ihre Berechnungen zeigen, dass der Ausstieg sowohl technisch, als auch ökonomisch, bis 2030 möglich ist. Ihre Koalition und gerade die CDU - berühmt-berüchtigt dafür, die Transformation hin zur Klimaneutralität zu verschleppen und politisch zu blockieren - sorgen mit dem “Kohleausstiegsgesetz” dafür, dass Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach all seine Klimaziele verfehlen wird (1). Klimaziele, die nach Berechnungen von Klimawissenschaftler*innen nicht einmal ausreichen, um die im Pariser Klimaschutzabkommen völkerrechtlich verankerte Bekämpfung der globalen Erderwärmung auf unter 2° Celsius zu erreichen (2).

 

Aktuell hat die Kohleverstromung einen Anteil von 30% an den deutschen CO2-Emissionen. Legen wir die vom Umweltbundesamt ermittelten Kosten für Klimafolgeschäden von 180 €/t CO2 zugrunde, so ergeben sich bei diesem Wert durch die deutsche Kohleverstromung verursachte Kosten in Höhe von 46,8 Mrd. € pro Jahr (3). Mit einem schnelleren Ausstieg aus der Kohleverstromung könnten wir nicht nur diese Kosten drastisch senken, sondern würden auch verhindern, dass wir sehenden Auges in eine der größten Katastrophen der Menschheit hineinlaufen.

 

Die Klimakrise wird, wenn wir sie nicht aufhalten, die Welt wie wir sie kennen so drastisch verändern, dass wir es uns schlicht nicht mehr leisten können, weiter mit der notwendigen Transformation unserer Gesellschaft zu warten. Es werden Lebensgrundlagen zerstört, Inseln und Küstenregionen überflutet und Ernten vernichtet werden. “200 Millionen Klimaflüchtlinge drohen weltweit in den nächsten 30 Jahren, wenn sich der menschengemachte Klimawandel so wie bisher fortsetzt.” Das prognostiziert eine Greenpeace-Studie aus dem Jahr 2014 (4).

 

Aber auch in Deutschland werden wir nicht von den Folgen des Klimawandels verschont bleiben. Steigende Temperaturen und Trockenheit sorgen beispielsweise dafür, dass sich Krankheiten stärker ausbreiten und Hitzetode zunehmen. “Im Jahr 2003 führte die Hitzewelle in Deutschland zu etwa 7.000 zusätzlichen Todesfällen durch Herzinfarkt, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenversagen sowie zu Atemwegsproblemen und Stoffwechselstörungen. Insgesamt wird für die EU-Staaten von einer Zunahme der Mortalität von einem bis vier Prozent pro Temperaturgradanstieg ausgegangen. Für Deutschland wird für die Jahre 2071 bis 2100 geschätzt, dass die hitzebedingten Todesfälle jährlich um 5.000 ansteigen” (5).

 

Und obwohl wir an der Bergstraße verhältnismäßig sehr privilegierte Bedingungen genießen, prognostiziert auch das hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie: “Wenn Starkregenereignisse an Häufigkeit und Intensität zunehmen, kann es zudem zu einer verstärkten Bodenerosion kommen. Dies kann weitreichende Folgen haben, z. B. wenn

fruchtbare Ackerböden betroffen sind. Die Prozesse der Bodenbildung laufen sehr langsam ab, und einmal abgetragene humose Oberböden benötigen Tausende von Jahren für eine Neubildung, wenn sie nicht sogar unwiederbringlich verloren sind" (6).

 

Das alles sind nur einige wenige Beispiele für das, was auf uns zukommt, wenn wir nicht entschlossen gegen den Klimawandel vorgehen. Mit dem “Kohleausstiegsgesetz” verstoßen Sie nicht nur gegen alle vernünftigen Ansätze zur Lösung dieses Problems, sondern treten auch die Interessen Ihrer Mitbürger*innen mit Füßen.

 

Vor einem Jahr noch haben Sie selbst uns in einem gemeinsamen Gespräch gesagt, dass Ihnen die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen am Herzen liegt, auch mit Blick auf ihre eigenen Kinder. Wie können Sie dieses Ziel nun so verraten? Wie können Sie unsere Zukunft so leichtfertig aufs Spiel setzen?

 

Gerade als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung hätten wir von Ihnen mehr Verständnis für die Zukunftsängste der jungen Generation erwartet.

 

Deshalb appellieren wir an Sie: Zeigen Sie politischen Mut, werben Sie in Ihrer Partei und der großen Koalition dafür, den Kohleausstieg bis 2038 zu überdenken und fangen Sie an, Verantwortung zu übernehmen und wirklichen Klimaschutz zu betreiben.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Fridays for Future Bensheim

 


(1) https://www.volker-quaschning.de/artikel/2019-05_Stellungnahme-Kohleausstieg/index.php, Volker Quaschning, letzter Stand 02.07.2020

(2) s.O.

(3) s.O.

(4) https://www.greenpeace.de/presse/presseerklaerungen/200-millionen-klimafluchtlinge-bis-2040, letzter Stand 02.07.2020

(5) https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/folgen-des-klimawandels/klimafolgen-deutschland/klimafolgen-handlungsfeld-menschliche-gesundheit#vektorenubertragene-krankheiten, letzter Stand 02.07.2020

(6) https://www.hlnug.de/themen/klimawandel-und-anpassung/folgen-des-klimawandels/boden, letzter Stand 02.07.2020